Den Alltag Ressourcen schonend und nach­haltig gestalten – nur wie? Sebastian Weise über Umwelt und Nachhaltigkeit in Berlin

Engagiert in der Coronazeit

Zehn Jah­re Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che: Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin hat Antrei­ber:innen und Beobachter:innen der Ber­li­ner Zi­vil­ge­sell­schaft auf ein Wort ge­be­ten – nach­ge­fragt, in die­ser Co­ro­na­zeit. Heu­te Se­bas­ti­on Wei­se, Pro­jekt­lei­ter wir­BER­LIN, im Ge­spräch mit Re­né Tausch­ke.

Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin und das Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin ha­ben als Ver­an­stal­ter auch für die Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che ihr Jah­res­mot­to “Lern.Ort.Engage­ment.” ge­wählt. Was be­deu­tet für Sie die­ses Mot­to? Was ha­ben Sie aus dem En­ga­ge­ment ge­lernt oder mitgenommen?

Sebastian Weise

Das dies­jäh­ri­ge Mot­to hät­te nicht bes­ser ge­wählt sein kön­nen. Die drei Wor­te sind nicht von­ein­an­der zu tren­nen. Mit je­dem En­ga­ge­ment er­wei­tert man im ge­mein­sa­men Aus­tausch mit an­de­ren sei­nen Ho­ri­zont, sei es die ei­ge­ne so­zia­le Kom­pe­tenz oder ganz fak­ti­sches Wis­sen. Gleich­zei­tig gibt man ei­ge­ne Er­fah­run­gen und Emp­fin­dun­gen wei­ter. Das ist zu Hau­se in den ei­ge­nen vier Wän­den nur be­dingt möglich.

En­ga­ge­ment ist im­mer auch ein Lern­pro­zess und die Um­ge­bung, in der das En­ga­ge­ment statt­fin­det, be­ein­flusst die­sen maß­geb­lich. Zu gu­ter Letzt schafft En­ga­ge­ment Zu­sam­men­halt und macht Freu­de – von bei­dem kön­nen wir in die­sen her­aus­for­dern­den Zei­ten nicht ge­nug haben.

Zehn Jahre weiter: Das Bürgerengagement steht heute deutlich zentrierter in Berlin

Wie hat die En­ga­ge­ment­wo­che Ber­lin ge­prägt? Was ha­ben die Ver­an­stal­ter in den letz­ten zehn Jah­ren ge­schafft oder geschaffen?

Wir sind mit wir­BER­LIN und un­se­rem En­ga­ge­ment zeit­gleich mit der Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che ge­star­tet. Da­mals gab es zwar schon Struk­tu­ren und ent­spre­chen­de Ma­ni­fes­te, wie z.B. ei­ne Ber­li­ner Char­ta zum Bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment, aber mehr als ein Pa­pier­ti­ger war es da­mals nicht. Es fehl­te an le­ben­di­gen In­hal­ten, an ei­nem he­te­ro­ge­nen und vor al­lem funk­tio­nie­ren­den Netz­werk mit­ge­stal­ten­der Ak­teu­re, an sub­stan­zi­el­len Un­ter­stüt­zungs­struk­tu­ren so­wie an ei­ner sei­ner Be­deu­tung ent­spre­chen­den An­er­ken­nung des Bür­ger­schaft­li­chen Engagements.

Dank der Ar­beit der Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin und des Lan­des­netz­werks Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin steht das Bür­ger­en­ga­ge­ment deut­lich zen­trier­ter in un­se­rer Ge­sell­schaft. Es wur­den qua­li­fi­zier­te Dia­log­pro­zes­se in­iti­iert, ver­bes­ser­te Rah­men­be­din­gun­gen ge­schaf­fen und nicht zu­letzt u.a. mit der En­ga­ge­ment­wo­che un­zäh­li­ges und viel­fäl­ti­ges En­ga­ge­ment auf­ge­zeigt, ge­för­dert und akquiriert.

Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment ist ein un­ver­zicht­ba­rer Be­stand­teil ei­ner de­mo­kra­ti­schen und frei­en Ge­sell­schaft und sei­ne Be­deu­tung wächst be­son­ders vor dem Hin­ter­grund der zu­neh­men­den Her­aus­for­de­run­gen ste­tig. Ich bin froh und dank­bar, dass wir mit der Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin und dem Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin un­er­müd­li­che Streiter:innen für Be­deu­tung, Struk­tur, In­hal­te, För­de­rung und An­er­ken­nung von Bür­ger­schaft­li­chem En­ga­ge­ment in Ber­lin und dar­über hin­aus haben.

Verantwortungsvoller Umgang mit dem öffentlichen Raum: Komplexer gedacht, das Engagement größer geworden

2010 star­te­te wir­BER­LIN als In­itia­ti­ve. Wie hat sich das En­ga­ge­ment für ei­nen ver­ant­wor­tungs­vol­len Um­gang mit dem öf­fent­li­chen Raum in Ber­lin in den letz­ten Jah­ren entwickelt?

Als wir 2011 un­se­ren Ak­ti­ons­tag mit 65 Ak­ti­ons­grup­pen ge­star­tet ha­ben, wa­ren vor al­lem die Ver­ei­ne und In­itia­ti­ven be­tei­ligt, die sich schon im­mer für ih­ren Kiez und des­sen Sau­ber­keit en­ga­giert ha­ben. Da war al­so auch ein star­kes Ei­gen­in­ter­es­se da­hin­ter. Es gab kaum ei­ne Ber­lin-über­grei­fen­de Öffentlichkeit.

In den An­fangs­jah­ren war die Ver­mül­lung öf­fent­li­cher Räu­me auch eher ein äs­the­ti­sches Pro­blem bzw. Är­ger­nis. Dem­entspre­chend wur­de je­der, der in ei­nem Park oder auf ei­nem öf­fent­li­chen Platz mit Wes­te und Müll­tü­te Müll weg­ge­räumt hat, eher be­lä­chelt. Das Be­wusst­sein für die viel­fäl­ti­gen Fol­gen von Ver­mül­lung war gar nicht so präsent.

Jetzt, zehn Jah­re spä­ter, ist das The­ma kom­ple­xer und das En­ga­ge­ment grö­ßer ge­wor­den – vor al­lem das in­for­mel­le En­ga­ge­ment. Vie­le Leu­te wol­len sich kurz­fris­tig en­ga­gie­ren und neh­men sich auch mal ein paar Stun­den Zeit. Mit nied­rig­schwel­li­gen An­ge­bo­ten sind wir in­zwi­schen viel er­folg­rei­cher und kom­men bes­ser an die Men­schen heran.

In­wie­fern hat sich das Be­wusst­sein der Men­schen geändert?

Die The­men, für die sich die Bürger:innen en­ga­gie­ren, ha­ben sich über die Jah­re ge­än­dert bzw. ha­ben sich in ih­rer Be­deu­tung und in der öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on ver­stärkt. Neh­men wir als Bei­spiel Kli­ma- und Um­welt­schutz. Die Um­welt­ver­schmut­zung und der Kli­ma­wan­del sind ei­ne Ge­fahr für uns und un­se­ren Pla­ne­ten. Da geht es auch um Plas­tik und Mi­kro­plas­tik, das wir in un­se­ren Kör­pern auf­neh­men. Die dra­ma­ti­schen Fol­gen und Aus­wir­kun­gen des The­mas, auch auf glo­ba­ler Ebe­ne, hat die Sen­si­bi­li­tät und da­mit auch das En­ga­ge­ment für die­se The­men ins­ge­samt gestärkt.

Die Be­we­gung „Fri­days for fu­ture“ war im letz­ten Jahr sehr stark und öf­fent­lich­keits­wirk­sam. Stärkt die „Fri­days for future“-Bewegung das Ber­li­ner Engagement?

Fri­days for fu­ture hat viel da­zu bei­getra­gen, dass die The­men Nach­hal­tig­keit, Um­welt­schutz und Kli­ma deut­lich mehr ins Licht ge­rückt sind. Da­vor ha­ben die The­men auch exis­tiert, aber Fri­days for fu­ture hat ein noch stär­ke­res Be­wusst­sein für die Fol­gen un­se­res all­täg­li­chen Han­delns aus­ge­prägt. Dar­an konn­ten vie­le The­men an­do­cken, wie Re­cy­cling, Res­sour­cen­scho­nung, Müll­ver­mei­dung, Mehr­weg und Verpackungsmüll.

Wie weiter, was plant wirBERLIN?

Co­ro­na hat in die­sem Jahr vie­les ver­än­dert. Gibt es die Be­fürch­tung, dass die Maß­nah­men zum Na­tur- und Um­welt­schutz in Ver­ges­sen­heit geraten?

Es gibt zwei Auf­fäl­lig­kei­ten: Es gibt ei­ne ho­he Auf­merk­sam­keit für das The­ma „Plas­tik“ und sei­ne Fol­gen. Be­son­ders in der Co­ro­na-Zeit war und ist Plas­tik (vor al­lem Ver­pa­ckun­gen) wich­tig und be­deut­sam für Hy­gie­ne und ge­sund­heit­li­che Si­cher­heit. Nach den hei­ßen Dis­kus­sio­nen der letz­ten zwei, drei Jah­re war das schon ei­ne merk­wür­di­ge Kehrtwende.

Auf der an­de­ren Sei­te ha­ben wir dar­an ge­se­hen, was wir an rie­si­gen Men­gen Ver­pa­ckun­gen und Um­ver­pa­ckun­gen ei­gent­lich ver­brau­chen. Wir konn­ten raus­ge­hen in die Parks, uns aber nicht in Re­stau­rants set­zen. So ha­ben die Berliner*innen in Re­stau­rants Es­sen to go ge­holt. Die Ver­pa­ckun­gen sind oft Sty­ro­por-Ver­pa­ckun­gen. Die­se und an­de­re Ver­pa­ckun­gen la­gen dann in den Parks her­um. Im Früh­jahr hat sich der Ver­pa­ckungs­müll be­son­ders auf­fäl­lig ge­türmt. Die­se Flut an Müll wur­de auch von den Be­zir­ken mo­niert. Wir ha­ben dar­auf schnell re­agiert und Maß­nah­men er­grif­fen, wie z.B. die In­stal­la­ti­on ei­nes „Müll­bur­ger Tors“, die Ver­öf­fent­li­chung von An­ti-Lit­te­ring-Vi­de­os und ei­nes Park-Knigges.

Wie wird der Ak­ti­ons­tag, zu dem die Ber­li­ner Bürger*innen jähr­lich da­zu auf­ge­ru­fen wer­den, ihr Le­bens- und Wohn­um­feld at­trak­ti­ver und sau­be­rer zu ge­stal­ten, am 18. und 19. Sep­tem­ber die­ses Jahr ablaufen?

Wir wer­den in die­sem Jahr zehn zen­tra­le Ak­ti­ons­or­te an­bie­ten, zu de­nen sich die Berliner*innen an­mel­den kön­nen. Dort stel­len wir Clean up-Ma­te­ria­li­en be­reit und auch die Müll­ent­sor­gung si­cher. Es ist die­ses Jahr ein­fach et­was kon­trol­lier­ter und fo­kus­sier­ter auf zehn Ak­ti­ons­or­te in der Stadt. Nichts­des­to­trotz kön­nen sich auch In­itia­ti­ven und Grup­pen fin­den und selbst ei­ne Ak­ti­on durchführen.

Wel­che Schrit­te sind in den nächs­ten Jah­ren geplant?

Wir wer­den zwei The­men noch stär­ker in den Fo­kus neh­men. Das ist ein­mal das des Lit­te­rings. Müll ist ein glo­ba­les Pro­blem und glo­ba­le Pro­ble­me be­gin­nen häu­fig lo­kal. Das The­ma ist ak­tu­el­ler denn je und noch nicht ge­löst. Da gibt es welt­weit ver­schie­de­ne Stra­te­gien. Die­se wer­den wir wei­ter für Ber­lin und über Ber­lin hin­aus, auch im Aus­tausch mit an­de­ren deut­schen Kom­mu­nen, be­spre­chen und dar­auf schau­en, wel­che Lö­sungs­mög­lich­kei­ten funktionieren. 

Das zwei­te The­ma ist das der Nach­hal­tig­keit. Kon­sum und Er­näh­rung, Tex­ti­li­en („fast fa­shion“), Ver­pa­ckun­gen sind hier ei­ni­ge Stich­wor­te. Wir wol­len in­for­mie­ren und sen­si­bi­li­sie­ren. Wir wol­len er­mun­tern und er­mu­ti­gen, sich dem The­ma an­zu­neh­men und sich selbst zu re­flek­tie­ren. Vie­le Men­schen wol­len ih­ren All­tag Res­sour­cen-scho­nend und nach­hal­tig ge­stal­ten – wis­sen aber gar nicht ge­nau wie. An die­sem Punkt möch­ten wir an­set­zen und hel­fen, da­zu bei­zu­tra­gen und auf­zu­klä­ren. Das wol­len wir in Zu­kunft auch noch mehr mit Um­welt­bil­dungs­maß­nah­men ver­knüp­fen, um be­reits Kin­der und Ju­gend­li­che für ein um­welt­be­wuss­tes und nach­hal­ti­ges Le­ben zu sensibilisieren.

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zu­letzt ak­tua­li­siert 11.09.2020