Nicht nur komplex, auch vielgesichtig: (Politische) Beteiligung in Berlin

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Zum ers­ten Run­den Tisch zur För­de­rung des Frei­wil­li­gen En­ga­ge­ments in Ber­lin im Jahr 2013 hat­te am letz­ten Don­ners­tag Mar­tin Beck, MdA Bü90/​Die Grü­nen, Spre­cher für So­zi­a­les, Bür­­ger­­schaft­li­ches En­ga­ge­ment und Sport und Vor­sit­zen­der des neu­en Aus­schus­ses für Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment als Pa­te ins Ber­li­ner Ab­ge­ord­ne­ten­haus ein­ge­la­den. Das The­ma am bun­des­wei­ten The­men­tag Par­ti­zi­pa­ti­on und Bür­ger­be­tei­li­gung. Mit­ge­stal­ten und Mit­ver­ant­wor­ten – De­mo­kra­tie stär­ken in der Wo­che des bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ments: Die po­li­ti­sche Be­tei­li­gung von Bür­ger­in­nen und Bür­gern. Er­fah­run­gen und Er­war­tun­gen in Berlin.

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Ca­ro­la Schaaf-De­richs vom Ver­an­stal­ter, der Lan­des­frei­wil­li­gen­agen­tur Ber­lin – Treff­punkt Hilfs­be­reit­schaft, hat­te wie im­mer die Mo­de­ra­ti­on und den Ein­stieg übernommen:

Herz­lich will­kom­men zum ers­ten Run­den Tisch zur För­de­rung des Frei­wil­li­gen En­ga­ge­ments in Ber­lin im Jahr 2013. Wir schrei­ben da­mit be­reits 13 Jah­re Ge­schich­te für die­sen Po­li­tik-Bür­ger-Dia­log auf Au­gen­hö­he, des­sen bis­he­ri­ger Ver­lauf im Wis­sens­spei­cher auf www.runder-tisch.freiwillig.info↵ or­ga­ni­siert nach­zu­voll­zie­hen ist.

Herz­li­chen Dank an Herrn MdA Beck für die Über­nah­me der Pa­ten­schaft, was die Dis­kus­si­on des The­mas Bür­ger­be­tei­li­gung be­deu­tet als auch die Gast­ge­ber­schaft im Ab­ge­ord­ne­ten­haus. Und herz­li­chen Dank an die Se­nats­ver­wal­tung für Ge­sund­heit und So­zia­les, die drei Run­de Ti­sche auch für das Jahr 2013 wie­der unterstützt.

Heu­te ist der The­men­tag des Bun­des­netz­werk Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment zur „Bür­ger­be­tei­li­gung“↵ und so gab es gleich meh­re­re Ge­le­gen­hei­ten zum Aus­tausch, die ich ger­ne ein­flie­ßen las­sen möch­te. Aus un­se­rer Re­cher­che über das Feld der Bür­ger­be­tei­li­gung ka­men wir zu fol­gen­den Be­fun­den, die Sie z.T. auch als Tisch­vor­lagen vorfinden:

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⇒ Mit Fa­bi­an Rei­din­ger un­ter­schei­den wir zu­nächst for­mal im We­sent­li­chen zwei For­men der po­li­ti­schen Be­tei­li­gung: Zum ei­nen Wah­len, Bür­ger­be­geh­ren bzw. Bürger­ent­schei­de, Bür­ger­an­trag, Bür­ger­ver­samm­lung und zum an­de­ren die for­mel­le Bür­ger­be­tei­li­gung im Rah­men von Pla­nungs­pro­zes­sen. Die­se sind recht­lich stark for­ma­li­siert. Nur bei Wah­len und Bür­ger­ent­schei­den ist das kon­kre­te Er­geb­nis auch recht­lich ver­bind­lich. Ber­lin hat als letz­tes Bun­des­land im Jahr 2005 die Bür­ger­be­geh­ren und Bür­ger­ent­schei­de (auf Be­zirks­e­be­ne) ein­ge­führt. Seit­dem ste­hen in al­len Bun­des­län­dern die­se In­stru­men­te zur Verfügung.

⇒ Seit den 70er Jah­ren gibt es in­for­mel­le Me­tho­den zur Bür­ger­be­tei­li­gung wie Pla­nungs­zel­len, Bür­ger­rä­te, Run­de Ti­sche und mehr.

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⇒ Und es gibt na­tür­lich das Bür­ger­schaft­li­che En­ga­ge­ment als Weg der Mit­ge­stal­tung, des Mit­wir­kens an ge­sell­schaft­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen und Problemen.

⇒ Der Be­griff der Bür­ger­be­tei­li­gung ist da­her z.T. noch ver­wir­rend viel­fäl­tig im Einsatz.

⇒ Ak­tu­ell ha­ben meh­re­re Städ­te so­ge­nann­te Leit­sät­ze zur Bür­ger­be­tei­li­gung ent­wi­ckelt, so wie die Stadt Mann­heim↵ im Rah­men ih­res Ver­wal­tungs­mo­der­ni­sie­rungs­pro­zes­ses 2011 zur Bür­ger­stadt. Dort heißt es im ers­ten Leitsatz:
Bür­ger­be­tei­li­gung ist von al­len ernst­haft ge­wollt. Bür­ger­be­tei­li­gung ist der ge­mein­sa­me Auf­trag der ge­sam­ten Stadt­ge­sell­schaft und braucht das En­ga­ge­ment von Bür­ger­schaft, Po­li­tik und Ver­wal­tung. Die­ses Selbst­ver­ständ­nis ist ein­ge­bet­tet in ei­ne kom­mu­na­le Ge­samt­stra­te­gie und drückt sich nicht nur in der Zahl, son­dern auch der Qua­li­tät der Be­tei­li­gungs­pro­zes­se aus. Da­für not­wen­di­ge Res­sour­cen wer­den zur Ver­fü­gung gestellt.“ 

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⇒ Auch die Stadt Hei­del­berg und ins­ge­samt 20 Städ­te in Ba­den-Würt­tem­berg ha­ben sich die­sem Pro­zess ver­schrie­ben. Ers­te Er­geb­nis­se ei­ner Eva­luie­rung der Um­set­zung wer­den für Mit­te 2014 erwartet.

⇒ Ei­ne Un­ter­su­chung zum The­ma „Ge­mein­wohl“ er­gab, dass die­ser Be­griff au­to­ri­ta­tiv im Sin­ne des Vor­rangs staat­li­chen Han­delns un­ter­legt ist und der Be­griff „Ge­mein­sinn“ für das gleich­be­rech­tig­te Agie­ren von Bür­ger und Staat ei­ne bes­se­re Mess­lat­te er­ge­ben sollte.

⇒ Schließ­lich gab es am ver­gan­ge­nen Sonn­tag in Bay­ern ei­nen Volks­ent­scheid zur Eh­ren­amts­för­de­rung↵ als Staats­ziel. Trotz 90,8 Ja-Stim­men zur För­de­rung des eh­ren­amt­li­chen Ein­sat­zes für das Ge­mein­wohl wur­de vom Baye­ri­schen Land­tag festgehalten:
„Ein Rechts­an­spruch ge­gen das Land oder Ge­mein­den auf ei­ne kon­kre­te, ins­be­son­de­re auch fi­nan­zi­el­le För­de­rung des eh­ren­amt­li­chen Ein­sat­zes für das Ge­mein­wohl kann hier­aus je­doch nicht ab­ge­lei­tet werden.“

Das The­ma ist al­so nicht nur kom­plex, es ist auch viel­ge­sich­tig. Wir se­hen die­sen Run­den Tisch da­her als Mög­lich­keit an, in Ber­lin ei­nen ers­ten Be­fund aus der Pra­xis mit­ein­an­der in Aus­tausch zu bringen.

Nun freu­en wir uns auf das ein­lei­ten­de State­ment un­se­res Paten.

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Mar­tin Beck (MdA), hier in
ei­ni­gen Stichworten:

⇒ Auch in Ber­lin stellt sich die Fra­ge bei den Be­tei­li­gungs­struk­tu­ren, wo wir sie aus­bau­en sol­len. Z.B. hat die In­itia­ti­ve „Je­de Stim­me e.V.“↵ vor we­ni­gen Ta­gen mit ei­ner Men­schen­ket­te de­mons­triert, wie vie­le Men­schen nicht vom Recht auf de­mo­kra­ti­sche Wah­len pro­fi­tie­ren können.

⇒ Eben­so gab es vie­le An­woh­ner­pro­tes­te bei den Bau­maß­nah­men am Mau­er­park, die al­ler­dings kei­nen Ein­fluss er­zie­len konnten.

⇒ Das Quar­tiers­ma­nage­ment↵ ist im Klei­nen ei­ne Maß­nah­me zur Bür­ger­be­tei­li­gung. So wie die­ses Pro­gramm 1999 an­fing, war es viel­ver­spre­chend und un­kom­pli­ziert, zu­letzt aber lei­der vol­ler bü­ro­kra­ti­scher Hür­den. Die­se gilt es abzubauen.

⇒ Auch Bud­get­ver­fah­ren im lo­kal­räum­li­chen Um­feld soll­ten stär­ker ge­för­dert werden.

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⇒ Der Be­zirk Lich­ten­berg ist das Mo­dell für den Bür­ger­haus­halt↵ deutsch­land­weit geworden.

⇒ In mei­ner frü­he­ren Funk­ti­on als Lei­ter der “Fa­brik Os­lo­er Stras­se↵” konn­te ich selbst die Be­tei­li­gung von Kin­dern und Ju­gend­li­chen im Pro­jekt Kin­der­mu­se­um La­by­rinth↵ mit viel­fäl­ti­gen Ak­tio­nen unterstützen.

⇒ Schließ­lich sei auf das „Hand­buch Par­ti­zi­pa­ti­on“↵ ver­wie­sen, das den Um­gang mit Bür­gern und Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren im öf­fent­li­chen Sek­tor im Sin­ne der So­zi­al­raum­ori­en­tie­rung um­fas­send beschreibt.

Ich bin nun al­so ge­spannt, was wir heu­te ge­mein­sam zu die­sem The­men­feld zu­sam­men tra­gen und dis­ku­tie­ren können.

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Ab­schlie­ßend sei­en noch ei­ni­ge Aus­sa­gen und Be­mer­kun­gen vom Run­den Tisch no­tiert; die Do­ku­men­ta­ti­on sel­ber ist in Vor­be­rei­tung und er­scheint dann wie­der in der be­kann­ten Wei­se im Blog der Run­den Ti­sche:

⇒ An der „U‑18-Wahl“ für Kin­der und Ju­gend­li­che↵ un­ter 18 Jah­ren, ver­an­stal­tet vom Ber­li­ner Lan­des­ju­gend­ring, ha­ben sich nur 12 – 14 % be­tei­lig. Wor­an liegt das? Sind Schu­len nur Or­te der rei­nen Wis­sens­ver­mitt­lung, nicht aber der Teilhabe?

⇒ Auch bei der sog. e‑participation, den elek­tro­ni­schen Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren für Ju­gend­li­che, hängt die Be­tei­li­gung stark von den von den Be­zir­ken da­für ein­ge­setz­ten Mit­teln und In­stru­men­ten ab. Die­se aber un­ter­schei­den sich sehr.

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⇒ Das sog. Ber­lin Ju­gend-Fo­rum↵, bei dem Ju­gend­li­che zum Ken­nen­ler­nen der Ar­beit für die par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kra­tie in das Ab­ge­ord­ne­ten­haus von Ber­lin ein­ge­la­den wer­den, wird zum Teil eher als PR empfunden.

⇒ Po­li­tik wird zu we­nig in der Schu­le ver­an­kert. Es soll­te da­zu mehr ver­pflich­ten­de Pro­gram­me ge­ben. Das Ber­li­ner Ju­gend-Fo­rum ist da­her ein wich­ti­ger Schritt, „Po­li­tik zum An­fas­sen“ er­leb­bar zu ma­chen und zei­tigt vie­le in­ter­es­san­te Ge­sprä­che mit Jugendlichen.

⇒ Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment soll­te als Fach in den Schu­len ver­an­kert wer­den. So kön­nen En­ga­ge­ment-In­ter­es­sen bei den Kin­dern und Ju­gend­li­chen schon früh ge­för­dert wer­den, Par­ti­zi­pa­ti­on er­lernt, De­mo­kra­tie-Ler­nen ermöglicht.

⇒ Die­se Ver­än­de­rung wür­de aber ein an­de­res Kon­zept von Schu­le be­nö­ti­gen, da­mit sich Kin­der und Ju­gend­li­che im ei­ge­nen Um­feld be­tei­li­gen kön­nen und mit­be­stim­men. Freie Schu­len set­zen dies z.T. schon sehr er­folg­reich um. Das Pro­jekt „Stadt als Schu­le“↵ und der An­satz des „Pro­duk­ti­ven Ler­nens“ be­wir­ken von der Schu­le aus die Öff­nung hin zu an­de­ren In­sti­tu­tio­nen des öf­fent­li­chen Lebens.

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⇒ Die Teil­ha­be von Se­nio­ren in Ber­lin ist eben­so ein The­ma. Die Se­nio­ren­be­geg­nungs­stät­ten wer­den ge­schlos­sen, trotz des Se­nio­ren­mit­wir­kungs­ge­set­zes↵ ist die Wahl­be­tei­li­gung äu­ßerst gering.

⇒ Auch für Men­schen, die un­ter ei­ner ge­setz­li­chen Be­treu­ung ste­hen, ist es oft un­klar, ob sie wahl­be­rech­tigt sei­en. Auch für Men­schen mit Be­hin­de­rung sind vie­le Fra­gen of­fen, was die tat­säch­li­che Teil­nah­me­mög­lich­keit an der Wahl be­trifft. Hier müs­sen Struk­tu­ren ge­schaf­fen werden.

⇒ Die In­itia­ti­ve wir­Ber­lin↵ hat in den letz­ten drei Jah­ren durch ih­re Ak­ti­ons­ta­ge „Sau­be­re Stadt“↵ er­fah­ren, wie wich­tig die me­dia­le Auf­merk­sam­keit für die Bür­ger­be­tei­li­gung sei. Und es war ein Lern­pro­zess für die öf­fent­li­che Ver­wal­tung, dass sie auf die Bür­ger zu­ge­hen muss, um Be­tei­li­gung zu ermöglichen.

⇒ Die Me­di­en­land­schaft hat ei­ne Mo­bi­li­sie­rungs­funk­ti­on, aber es braucht auch ge­setz­li­che Ent­wick­lun­gen, es braucht Er­mun­te­rung, Er­mög­li­chung für Bür­ger­be­tei­li­gung, an­ders als im sog. „Bel­lo-Dia­­log“↵.

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⇒ Im Rück­blick auf die letz­ten zehn Jah­re ist es – nicht zu­letzt durch die me­dia­le Be­richt­er­stat­tung – für das Bür­ger­schaft­li­che En­ga­ge­ment leich­ter ge­wor­den. Al­ler­dings schwe­rer ge­wor­den ist die Über­sicht und die Ver­net­zung, wie sie von der Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin nach wie vor prak­ti­ziert wird. Für Ber­lin braucht es da­her Ver­ab­re­dun­gen von höchs­ter Ebe­ne, wie wir struk­tu­rell mit dem Bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment um­ge­hen wollen.

⇒ Die „Fails“ beim Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment wie bei der Bür­ger­beteiligung auf­ge­ar­bei­tet wer­den, um aus Fehl­ent­wick­lun­gen zu ler­nen. Ins­ge­samt soll­te mehr „Open Go­vernment“ prak­ti­ziert wer­den, um das staat­li­che Han­deln für Bür­ger trans­pa­rent zu machen.

⇒ Die Ber­li­ner Ver­wal­tun­gen müs­sen hin­sicht­lich Bür­ger­be­tei­li­gung ge­schult werden. 

Mehr le­sen von den Run­den Ti­schen seit 2001: runder-tisch.freiwillig.info
Al­le Fo­tos: Jo Ro­de­jo­hann