Menschen müssen das Gefühl haben, es wird ihnen einfach gemacht, sich zu engagieren: Gerd Nowakowski über Herausforderungen

Engagiert in der Coronazeit

Zehn Jah­re Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che: Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin hat Antrei­ber:innen und Beobachter:innen der Ber­li­ner Zi­vil­ge­sell­schaft auf ein Wort ge­be­ten – nach­ge­fragt, in die­ser Co­ro­na­zeit. Heu­te Gerd No­wa­kow­ski, Lei­ten­der Re­dak­teur beim Ta­ges­spie­gel, im Ge­spräch mit Re­né Tausch­ke.

Das dies­jäh­ri­ge Mot­to lau­tet „Lern.Ort.Engagement“. Was ha­ben Sie durch das En­ga­ge­ment ge­lernt oder mitgenommen?

Gerd Nowakowski

Wir ha­ben in der Co­ro­na-Kri­se ge­lernt, wie schnell auch die Po­li­tik und Ver­wal­tung in ei­ner gut or­ga­ni­sier­ten und wohl­ha­ben­den Ge­sell­schaft an den Rand der Über­las­tung kommt, und wie wich­tig in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on das En­ga­ge­ment der Men­schen ist. Sich zu en­ga­gie­ren, und fest­zu­stel­len, dass man da­bei net­te Men­schen trifft und der Ein­satz das ei­ge­ne Le­ben be­rei­chert: All das kann man ler­nen, et­wa bei der En­ga­ge­ment­wo­che – des­we­gen ist die­se auch ein be­son­de­rer Lern-Ort.

Wel­che Rol­le spielt die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin als Ver­an­stal­te­rin der En­ga­ge­ment­wo­che für das En­ga­ge­ment in Berlin?

Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin bün­delt vie­le Ak­ti­vi­tä­ten rund um das Eh­ren­amt und ist zu­gleich ein Seis­mo­graph für Ver­än­de­run­gen und neue Fel­der des En­ga­ge­ments, die sich aus neu­en ge­sell­schaft­li­chen Pro­ble­men oder neu­en Her­aus­for­de­run­gen ent­wi­ckeln – et­wa durch die Flücht­lings­kri­se. Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur hat sich auch dar­in be­währt, der Po­li­tik den Hand­lungs­be­darf zur Un­ter­stüt­zung die­ser neu­en En­ga­ge­ments­fel­der deut­lich zu machen.

In welcher Verfassung ist die Berliner Engagement-Landschaft aktuell?

Als lei­ten­der Re­dak­teur des Ta­ges­spie­gels hat­ten Sie im­mer ei­nen be­son­de­ren Blick auf das En­ga­ge­ment der Berliner:innen: Sie ha­ben die Ak­ti­ons­ta­ge „Ge­mein­sa­me Sa­che – Ber­li­ner Frei­wil­li­gen­ta­ge“ ge­grün­det und den Eh­ren­amts-News­let­ter „Eh­ren­sa­che“ ins Le­ben ge­ru­fen. In wel­cher Ver­fas­sung ist die Ber­li­ner En­ga­ge­ment-Land­schaft aktuell?

Die Ber­li­ner En­ga­ge­ment-Land­schaft ist im Au­gen­blick in ei­ner gu­ten Ver­fas­sung. Wir ha­ben es in der Co­ro­na-Kri­se al­le er­lebt, wie die Zi­vil­ge­sell­schaft, wie die eh­ren­amt­lich tä­ti­gen Men­schen in Ber­lin ein En­ga­ge­ment ge­zeigt ha­ben, das al­le Er­war­tun­gen über­trof­fen hat. An ganz vie­len Stel­len sind Nach­bar­schaf­ten zu­sam­men ge­wach­sen. Tau­sen­de von Men­schen ha­ben sich et­was aus­ge­dacht, um die­je­ni­gen zu hel­fen, die Co­ro­na-be­dingt zu Hau­se oder in Pfle­ge­hei­men al­lein blei­ben mussten.

Um den All­tag in der Iso­la­ti­on auf­zu­hel­len, sind sie für Nachbar:innen ein­kau­fen ge­gan­gen oder ha­ben Brie­fe an die Bewohner:innen im Pfle­ge­heim ge­schrie­ben. Da­zu ge­hört auch die Un­ter­stüt­zung der kul­tu­rel­len Ein­rich­tun­gen durch Spen­den. Das war be­ein­dru­ckend und herz­er­wär­mend. Die­sen Schwung neh­men wir mit in die En­ga­ge­ment­wo­che. Es ist ein gu­ter Zeit­punkt, um auch die­se Frei­wil­li­gen und En­ga­gier­ten zu wür­di­gen und wert­zu­schät­zen, für das, was sie ge­macht ha­ben. Das war ins­ge­samt ei­ne Stern­stun­de der Zivilgesellschaft.

Ber­lin hat ei­ni­ge tur­bu­len­te Jah­re hin­ter sich, be­son­ders po­si­tiv im Kopf blieb die Flücht­lings­kri­se 2015. Wie hat sich das En­ga­ge­ment in Ber­lin über die Jah­re entwickelt?

Ber­lin war so­wohl im Os­ten als auch im Wes­ten ein schwie­ri­ges Pflas­ter. Im Ost­teil der Stadt gab es ei­ne be­vor­mun­den­de Re­gie­rung. En­ga­ge­ment war da ne­ga­tiv be­setzt. Wer sich en­ga­gier­te, war im­mer ver­däch­tig. Die Pflicht zu so­ge­nann­ten frei­wil­li­gen Ak­tio­nen hat da­zu bei­getra­gen, dass das En­ga­ge­ment im Ost­teil der Stadt ei­nen schlech­ten Ruf hat­te. Nach dem Mau­er­fall brauch­te es dem­entspre­chend lan­ge, bis sich dort über­haupt ei­ne Frei­wil­li­gen­kul­tur ent­wi­ckeln konnte.

Im West­teil der Stadt da­ge­gen gab es un­ter der Bun­des­re­gie­rung in Bonn ei­nen wahn­sin­nig auf­ge­bläh­ten öf­fent­li­chen Dienst und den An­spruch, voll­ver­sor­gen­der So­zi­al­staat zu sein – aber kei­ne ent­wi­ckel­te Frei­wil­li­gen­kul­tur. Auch da kam erst nach dem Mau­er­fall et­was in Bewegung. 

Erst in der Flüchtlingskrise hat sich gezeigt, welche Stärke die Engagierten dieser Stadt entwickelt haben

In mei­nen Au­gen hat sich erst in der Flücht­lings­kri­se 2015 ge­zeigt, wel­che Stär­ke die En­ga­gier­ten die­ser Stadt ent­wi­ckelt ha­ben. Das En­ga­ge­ment war auch schon vor­her da. Aber 2015 ha­ben sich Men­schen für die Flücht­lin­ge en­ga­giert und ha­ben es ge­schafft, das Ver­wal­tungs­ver­sa­gen zu kom­pen­sie­ren. Sie ha­ben Es­sen be­sorgt, Sprach­kur­se an­ge­bo­ten und Pa­ten­schaf­ten über­nom­men. Das war ei­ne ganz gro­ße Leis­tung, die da­zu bei­getra­gen hat, dass die In­te­gra­ti­on die­ser Men­schen er­leich­tert wurde.

In­wie­weit prägt und för­dert Ber­lin das Engagement? 

Wir ha­ben ei­ne ent­wi­ckel­te En­ga­ge­ment-Land­schaft, da­zu hat auch die Lan­des­re­gie­rung bei­getra­gen. Staats­se­kre­tä­rin Saw­san Che­bli hat ei­ne gu­te Ar­beit ge­macht. Nicht nur, weil sie sich mit Em­pa­thie um die­sen Be­reich ge­küm­mert hat, son­dern auch weil sie es ge­schafft hat, dass al­le Be­zir­ke Frei­wil­li­genagen­tu­ren ha­ben und da­mit An­lauf­stel­len bie­ten für En­ga­gier­te und um Men­schen ins Eh­ren­amt zu bringen.

Der Po­li­tik soll­te aber noch viel deut­li­cher be­wusst sein, dass die Men­schen, die sich en­ga­gie­ren auch für die Wer­te ei­ner frei­heit­li­chen und to­le­ran­ten Ge­sell­schaft ein­ste­hen. Be­son­ders im Hin­blick auf die Ge­fähr­dung der de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft durch Rechts­po­pu­lis­mus und an­de­re Gruppierungen.

Den Eh­ren­amts-News­let­ter „Eh­ren­sa­che“ gibt es nun schon seit ei­nem Jahr. Wie fällt Ihr Zwi­schen­fa­zit aus? Wie ist das Feedback?

Als wir den News­let­ter ge­star­tet ha­ben, wa­ren wir un­si­cher, ob das funk­tio­niert. Es ist dann aber in ei­nem Tem­po ge­wach­sen, das uns über­rascht hat. Das zeigt auch, wie viel­fäl­tig das En­ga­ge­ment ist. Häu­fig ler­ne ich In­itia­ti­ven ken­nen, von de­nen ich vor­her noch nicht ge­hört ha­be. Das ist im po­si­ti­ven Sin­ne im­mer wie­der ei­ne tol­le Erfahrung.

Das An­lie­gen des Ta­ges­spie­gels ist es seit vie­len Jah­ren, das En­ga­ge­ment zu stär­ken. Vor vie­len Jah­ren ha­be ich die Ak­ti­ons­ta­ge „Ge­mein­sa­me Sa­che“ für den Ta­ges­spie­gel in­iti­iert, um en­ga­gier­te Men­schen zu wür­di­gen und da­mit zu­gleich An­knüp­fungs­punk­te für in­ter­es­sier­te Men­schen zu schaffen.

Oft hat man ein In­ter­es­se, sich ir­gend­wie zu en­ga­gie­ren, man traut sich aber nicht, da man un­si­cher ist, ob man will­kom­men ist. An die­sen Ak­ti­ons­ta­gen weiß man: Ich bin will­kom­men und die Tür steht of­fen. Wenn es mir dann ge­fällt, dann bleibt man viel­leicht auch dabei.

Chancen und Herausforderungen im bürgerschaftlichen Engagement in den nächsten Jahren

Se­hen Sie den Jour­na­lis­mus oder Ta­ges­zei­tun­gen noch viel mehr in der Pflicht, das En­ga­ge­ment zu würdigen?

Ja, ich glau­be, dass es ei­ne Auf­ga­be von Zei­tun­gen ist. Schlech­te Nach­rich­ten ab­bil­den, das kann je­der. Gu­te Nach­rich­ten zu pro­du­zie­ren, ist auch ei­ne Auf­ga­be von Zeitungen.

Wer­fen wir ein­mal ei­nen Blick in die Zu­kunft. Wel­che Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen se­hen Sie im bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment in den nächs­ten Jahren?

Die Wert­schät­zung und die Wür­di­gung der En­ga­gier­ten muss noch stär­ker wer­den. Im kom­men­den Jahr, wenn Ber­lin den Ti­tel „Eu­ro­päi­sche Haupt­stadt des frei­wil­li­gen En­ga­ge­ments“ trägt, ist ein gu­ter Zeit­punkt dar­über nach­zu­den­ken, ob man das En­ga­ge­ment auf vie­len Ebe­nen er­leich­tert. Es fängt da­mit an, dass vie­le ih­re ei­ge­nen BVG-Fahr­schei­ne be­zah­len müs­sen, ob­wohl sie stän­dig im Ein­satz sind. Man muss jun­gen Men­schen leich­ter die Mög­lich­keit ge­ben, sich zu engagieren.

Es ist nicht mehr so wie frü­her, dass man ein­mal in den Ver­ein ein­tritt und dann ist man 30 Jah­re lang Ver­eins­kas­sie­rer. Da­mit will ich nie­man­den ge­ring schät­zen, aber wir dür­fen auch nicht igno­rie­ren, dass die Le­bens­ver­hält­nis­se heu­te an­ders sind.

Die Men­schen sind be­weg­li­cher und müs­sen be­weg­li­cher sein. Jun­gen Men­schen, die sich en­ga­gie­ren, soll­ten wir zum Bei­spiel ei­nen Bo­nus bei der Stu­di­en­platz­su­che bie­ten kön­nen. So kön­nen die­se in Ber­lin stu­die­ren und sich wei­ter en­ga­gie­ren und müs­sen nicht auf­grund des Nu­me­rus Clau­sus in ei­ne an­de­re Stadt zie­hen. Die Men­schen müs­sen das Ge­fühl ha­ben, sie wer­den ge­wür­digt und es wird ih­nen ein­fach ge­macht, sich zu en­ga­gie­ren. Das se­he ich als ei­ne gro­ße Herausforderung.

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zu­letzt ak­tua­li­siert 20.09.2020
Fo­to: Der Ta­ges­spie­gel /​ Kai-Uwe Heinrich