Angebote und Einrichtungen müssen inklusiv sein und dürfen niemanden ausschließen: Elke Breitenbach über Teilhabe in Berlin
Notiert von jor ~ 12. September 2020 ~
Zehn Jahre Berliner Engagementwoche: Die Landesfreiwilligenagentur Berlin hat Antreiber:innen und Beobachter:innen der Berliner Zivilgesellschaft auf ein Wort gebeten – nachgefragt, in dieser Coronazeit. Heute Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, im Gespräch mit René Tauschke.
Unser diesjähriges Motto lautet „Lern.Ort.Engagement“. Was verbinden Sie mit dem Motto? Was haben Sie persönlich durch das Engagement gelernt?
Sich zu engagieren, kann man lernen. Oft sind schon Eltern Vorbilder oder Großeltern, manchmal auch Freunde. Natürlich spielt auch die Schule eine große Rolle dabei, wenn sie Kindern und Jugendlichen das gesellschaftliche Engagement quasi in den Stundenplan schreibt. Um das zu fördern, vergeben wir beispielsweise auch die Schüler-FreiwilligenPässe.
Auf jeden Fall benötigt Engagement aber konkrete Orte und Gelegenheiten zum Engagement und es braucht entsprechende Infrastrukturen. Diese müssen für alle zugänglich sein, es benötigt Ansprechpartner:innen, die vermitteln, beraten und anleiten. Eindrückliche und einladende Räume für soziales Engagement sind unsere Stadtteilzentren, die es in Berlin in jedem Bezirk gibt. Diese Orte müssen aber auch für das ungebundene Engagement ausreichend zur Verfügung stehen – das ist eine große Herausforderung in einer immer enger und teurer werdenden Stadt!
Was mich betrifft: Ich habe durch das Engagement gelernt, dass ich nicht nur andere erfolgreich unterstützen kann, sondern dass es auch für mich eine wirkliche Bereicherung ist.
Die Engagementwoche ist vor allem ein Schaufenster für das vorhandene Engagement
In den zehn Jahren der Engagementwoche haben wir über 3.500 Mal auf freiwilliges und bürgerschaftlichen Engagement in Berlin hingewiesen, dabei waren 55.000 Aktive dabei für die Stadt engagiert und hilfreich. Wie hat die Engagementwoche Berlin geprägt oder verändert?
Die Engagementwoche ist vor allem ein Schaufenster für das vorhandene Engagement. Gleichzeitig macht sie auch Werbung für engagiertes Handeln. Das gelingt zum Beispiel mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die Lust aufs Engagement machen sollen. Viele Berlinerinnen und Berliner, die sich in ihrem Haus oder in ihrem Kiez engagieren, sozusagen im Kleinen, haben dabei das Gefühl, Teil einer großen Bewegung zu sein. Das motiviert Menschen, ganz gleich in welchem Alter sie sind.
Wie hat sich in den letzten 10 Jahren die Engagement-Landschaft, Ihrer Meinung nach, entwickelt?
Ich bin der Meinung, dass soziales, bürgerschaftliches Engagement auch immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung ist. Das können wir gut beobachten. Wir sehen, dass sich Menschen nicht mehr so langfristig an eine Organisation oder einen Ort binden – unter anderem wegen beruflicher Erfordernisse. Das überträgt sich auch auf das Engagement: Es wird weniger langfristig und Vereine haben Probleme, Nachfolger für Vorstandsposten zu finden. Es gibt dafür mehr spontanes Engagement, Kurzzeiteinsätze und ungebundenes Engagement, also ohne Vereinsanbindung.
Das Engagement der Zivilgesellschaft in Berlin ist immer wieder beispielhaft, nicht nur in den letzten Monaten
Erfreulich ist auf jeden Fall, dass das Engagement insgesamt stabil geblieben ist. Es engagieren sich heute sogar mehr Menschen als noch vor zehn Jahren. Gerade in jüngster Vergangenheit erleben wir eine starke Zunahme des politischen Engagements von Jugendlichen, zum Beispiel mit Fridays for Future.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ergänzen: „Ehrenamt braucht Hauptamt“ – davon bin ich überzeugt. Wir hatten bereits vor Beginn dieser Legislaturperiode in Berlin eine Infrastruktur zur Förderung und Unterstützung des Engagements, um die uns fast alle anderen Bundesländer beneidet haben. Dennoch haben wir als Senat da noch kräftig draufgesattelt: Wir haben mit den bezirklichen Freiwilligenagenturen eine bundesweit einmalige flächendeckende Struktur der Engagement-Förderung geschaffen!
Das erfolgreiche Konzept der Stadtteilzentren konnte deutlich ausgebaut werden und – auch das ist bundesweit einmalig – wir haben die Betreiber der Unterkünfte für Geflüchtete in die Lage versetzt, als Teil der Regelversorgung Freiwilligenkoordination anzubieten. Ergänzend dazu gibt es Qualifizierungsangebote für Freiwilligenkoordination durch das Projekt Beratungsforum Engagement. Zudem wurde die jährliche Fachtagung für Freiwilligenmanagement erfolgreich „wiederbelebt“. Aktuell erarbeitet das Land Berlin eine neue Ehrenamtsstrategie. Das alles kostet viel Geld. Doch es ist sehr gut angelegtes Geld.
Welche Bedeutung hat das Engagement für Berlin?
Das Engagement der Zivilgesellschaft in Berlin ist immer wieder beispielhaft, nicht nur in den letzten Monaten. Wann immer diese Stadt vor einer großen und häufig auch unerwarteten gesellschaftlichen Herausforderung gestanden hat – sei es in den Jahren 2015/2016, als viele Geflüchtete zu uns kamen, oder sei es bei der Unterstützung obdachloser Menschen oder jetzt in der Corona-Pandemie.
Sehr oft sind es sogar zuerst die nicht organisierten Freiwilligen, die spontan und in Eigenregie tätig werden, um entstandene Probleme tatkräftig zu lösen. Manchmal werden Politik und Verwaltung erst durch dieses Engagement auf entstehende Probleme so richtig aufmerksam.
Die Engagierten wirken hier wie Seismographen, die auf Missstände hinweisen! Das geschieht nicht nur durch große und öffentlichkeitswirksame Aktionen, sondern oft auch sehr dezentral und im Kleinen, regional in der Nachbarschaft – ohne große Logistik und Strukturen. Es ist dennoch sehr zielgerichtet und wirksam. Als ein Beispiel nenne ich die Einrichtung der Gaben-Zäune zur Versorgung obdachloser Menschen, die in Folge des Corona-Lockdowns plötzlich von gewohnten Versorgungsstrukturen abgeschnitten waren.
Verlässliche Strukturen und Unterstützung sind unabdingbar
Damit dies langfristig geschehen kann, braucht die Zivilgesellschaft aber auch verlässliche Strukturen und Unterstützung. Diese Unterstützung reicht von der Bereitstellung von Räumen, über Qualifizierungsangebote bis hin zu professionellen Ansprechpartnerinnen und –partnern in den Freiwilligenagenturen und Stadtteilzentren für Engagierte und solche, die es werden wollen.
Berlin ist da in einer vergleichsweise guten Situation: Das flächendeckende Netz professioneller Engagement-fördernder Einrichtungen unterstützt das spontane Engagement. Im Jahr 2015 waren es die Stadtteilzentren, welche die Willkommenskultur rund um neu errichtete Unterkünfte für Geflüchtete maßgeblich mitorganisiert haben. So war es auch im März dieses Jahres, als innerhalb weniger Tage in jedem Berliner Bezirk eine Koordinierungsstelle eingerichtet wurde – sowohl für Menschen, die Corona-bedingt Unterstützung benötigten (zum Beispiel beim Einkauf), als auch für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.
Erfreulicherweise ist es uns gelungen, die Projekte auch über die schwierige Coronazeit hinweg zu erhalten.
In Folge von Corona mussten viele Vereine und Verbände kreativ und in kürzester Zeit auf die aktuellen Gegebenheiten reagieren. In vielen Fällen gab es keine Alternative und die reguläre Arbeit musste eingestellt werden. In anderen Fällen wurden innovative Formate entwickelt. Wie kann das Engagement aktuell nachhaltig unterstützt werden?
Das geschieht durch die zuvor schon beschriebene, Engagement fördernde Infrastruktur mit ihren Freiwilligenagenturen und Stadtteilzentren beispielsweise. In den Projekten, für die wir als Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales direkt verantwortlich sind, wurden übrigens sehr wenige Angebote komplett eingestellt. Viel mehr gelang es sehr schnell, die Angebote auf telefonische oder digitale Formate umzustellen. Die Landesfreiwilligenagentur ist mit der Freiwilligenbörse und den Runden Tischen ein gutes Beispiel dafür. So ähnlich hat es auch bei Beratungsangeboten funktioniert.
Andere Angebote, da nenne ich die Mobilitätshilfedienste und Begegnungsangebote, konnten mittlerweile – wenigstens teilweise – wieder öffnen. Erfreulicherweise ist es uns gelungen, die Projekte auch über diese schwierige Zeit hinweg zu erhalten.
Viele ehrenamtlich Engagierte wünschen sich mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung für das Engagement. Mit der Engagementwoche leisten wir und Sie als Förderin dafür einen Beitrag. Mit welchen Strukturen und Formaten kann das Engagement ganzjährig die Sichtbarkeit erfahren, die gewünscht wird?
Wir haben in den vergangenen Jahren und bis heute neben der Förderung des Engagements auch eine Kultur der Anerkennung entwickelt. Da gibt es unter anderem die Ehrennadel für besonderes soziales Engagement, die wir feierlich verleihen genauso wie die FreiwilligenPässe und Schüler-FreiwilligenPässe. Es ist uns sehr wichtig, Anerkennung und Wertschätzung den Freiwilligen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Da ist sicher auch noch Luft nach oben! Ich bin gespannt, welche neuen Ideen und Ansätze es noch geben wird.
Räume für das Engagement werden weniger und teurer, insbesondere für ungebundenes, spontanes Engagement: definitiv eine große Herausforderung
Wo sehen Sie die Herausforderungen und Chancen für das Engagement in Berlin in den nächsten Jahren?
Ich hatte bereits erwähnt, dass Räume für das Engagement weniger und teurer werden, insbesondere für ungebundenes, spontanes Engagement. Das ist definitiv eine große Herausforderung. Mit Sorge betrachte ich, dass sich ein Engagement gegen statt für formt, also, gegen Demokratie, gegen eine liberale Gesellschaft und gegen Weltoffenheit.
Ermutigt bin ich dagegen, wenn ich die Chancen sehe: Auf die Zivilgesellschaft in Berlin ist Verlass. Das macht Hoffnung. Viele jüngere Menschen engagieren sich und es gibt noch viele bisher ungenutzte Potenziale, zum Beispiel viele Berlinerinnen und Berliner mit Einwanderungsgeschichte. Wenn es uns gelingt, auch Engagement-ferne Menschen und Gruppen besser einzubeziehen und die bestehenden Einrichtungen und Angebote im umfassenden Sinne inklusiv zu öffnen, liegt darin für eine diverse, bunte und weltoffene Stadt wie Berlin eine große Chance!
Was sind entsprechende Antworten oder Lösungen auf diese Herausforderungen?
Es muss uns auch künftig gelingen, die entsprechende Infrastruktur für das Engagement vorzuhalten, sie weiterzuentwickeln und ihre Finanzierung zu sichern. Das heißt auch, in bislang unterversorgten Regionen, neue Standorte zu eröffnen. Wir müssen auch über Mehrfachnutzungen von Einrichtungen, zum Beispiel Schulen, nachdenken. Vor allem ist es unabdingbar, Barrieren abzubauen. Damit meine ich bauliche Barrierefreiheit genauso wie sprachliche Barrierefreiheit. Angebote und Einrichtungen müssen inklusiv sein und dürfen niemanden von der Teilhabe ausschließen.
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zuletzt aktualisiert 14.09.2020