Wir brauchen digitale Elemente, hybride und Live-Formate: Dieter Rehwinkel zur Digitalisierung im Engagement
Notiert von jor ~ 11. September 2020 ~
Zehn Jahre Berliner Engagementwoche: Die Landesfreiwilligenagentur Berlin hat Antreiber:innen und Beobachter:innen der Berliner Zivilgesellschaft auf ein Wort gebeten – nachgefragt, in dieser Coronazeit. Heute Dieter Rehwinkel, Projektleiter „Woche des bürgerschaftlichen Engagements“ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, im Gespräch mit René Tauschke.
Die Landesfreiwilligenagentur Berlin und das Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin haben als Veranstalter auch für die Berliner Engagementwoche ihr Jahresmotto “Lern.Ort.Engagement.” gesetzt. Was bedeutet es für Sie?
Dieser Dreiklang enthält alles, was das Engagement ausmacht. Er enthält die Zugehörigkeit (Ort), das Miteinander aktiv werden und davon profitieren (Lernen). Das sind die Begriffe, die das Engagement beschreiben. Was für mich persönlich noch dazugehört, ist das Anerkennen und das Gesehenwerden.
Was haben Sie persönlich aus dem Engagement gelernt?
Dass man etwas bewegen kann. Ich habe beispielsweise eine ehrenamtliche Wahlkampagne in Berlin gemacht, unter dem Motto Jede Stimme, bei der wir für die 500.000 Berliner:innen, die nicht wählen dürfen, eine symbolische Wahl initiiert haben. Dabei habe ich gelernt, dass es sich lohnt, so etwas zu machen. Denn damit wird man politisch gehört und gesehen.
Zivilgesellschaft ist auch immer eine atmende Zivilgesellschaft. Wenn etwas nicht richtig läuft, dann gibt es immer Leute, die die Probleme kenntlich machen. Daraufhin werden diese dann – vielleicht und hoffentlich – auf politischer Ebene gelöst.
Engagementwoche und Woche des bürgerschaftlichen Engagements haben Wirkungen
Wie haben die Kampagnenideen „Engagementwoche“ und „Engagement macht stark“ Berlin verändert?
Ich nehme eine sehr starke Sensibilität im Engagement wahr. Es gibt eine eigene Staatssekretärin und viele Programme, die bürgerschaftliches Engagement unterstützen. Das ist sicher auch ein Ergebnis der Arbeit unserer Kampagnen und der engagierten Berliner:innen.
Wenn man einmal zurückschaut auf die Umweltbewegung und die Anti-AKW-Bewegung: Das hat erst dazu geführt, dass ein Ministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit eingeführt wurde. Ebenso hat die engagierte Zivilgesellschaft die Rolle der Frauen gestärkt.
Engagement führt zu mittelfristigen und langfristigen Erfolgen. Wenn die Bürger:innen sich im demokratischen Gemeinwesen engagieren und die Leute in Rathäusern und Regierungsämtern das wahrnehmen, dann bewegt sich etwas, dann tun sie auch etwas.
Die Kampagnen werden immer digitaler – auch im Engagement und besonders während der Corona-Krise. Wie wichtig sind digitale Medien für eine Engagement-Kampagne?
Wir machen inzwischen alle unsere Großveranstaltungen digital – auch in anderen Bundesländern. Obwohl unsere Kampagnen schon immer digital geprägt waren, ist das eine Veränderung. Das Engagement braucht eigentlich beides. Wir brauchen digitale Elemente, hybride und Live-Formate. Man will sich begegnen, man muss sich austauschen. Digitales Engagement braucht auch die Ergänzung durch Begegnung. Darum hoffe ich, dass das bald wieder anders wird.
Ein Lern.Ort.Engagement. kann nicht nur digital sein
Unserer Wahrnehmung nach sind digitale Formate und Veranstaltungen aufwändiger. Denn um viele Menschen zu erreichen, muss man sehr innovativ sein und auf völlig anderer Ebene organisieren, als es bei analogen Veranstaltungen bekannt ist. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Das merken wir auch. Es ist nicht nur aufwändiger, es werden auch größere Hürden aufgebaut. Ich habe die ersten Zahlen von anderen Mitmach-Kampagnen aus anderen Ländern bekommen. Unsere Prognose ist, dass wir nur die Hälfte von denen erreichen bzw. aktivieren, die wir sonst erreichen. Es ist einfacher auf der Straße etwas zu veranstalten oder an einem anderen Ort. Gemäß dem Motto Lern.Ort.Engagement. kann dieser Ort nicht nur ein digitaler Ort sein.
Was sind die Herausforderungen der Digitalisierung im Engagement-Bereich?
Was wir brauchen, sind bessere Schutzmechanismen, um digitalen Missbrauch vorzubeugen. Es ist immer noch viel zu oft und einfach möglich, dass sich Leute in Onlineformate von Initiativen mit falschen und/oder dunklem zivilgesellschaftlichen Hintergrund einklinken. Das ist eine große Gefahr.
Digitalisierung, eine Chance auch für mehr Unternehmensengagement
Wie digitalisiert ist die Engagementlandschaft in Berlin?
Soweit ich das beurteilen kann, besteht noch viel Nachholbedarf. Wir haben die erste Krise ja schon erlebt vor fünf Jahren, als sich viele Leute zusätzlich und spontan engagieren wollten. Da musste man sich registrieren, um den Geflüchteten zu helfen. Die Initiativen waren dafür aber nicht ausgestattet, das zu machen. Schon da gab es Defizite im digitalen KnowHow, nicht nur bei den großen NGO-Tankern des organisierten Engagements, sondern auch in den zuständigen Administrationen. Das müssen wir ändern. Dazu braucht es Aufklärung, Unterstützung, Infrastruktur-Ausrüstung.
Inzwischen ist es so, dass viele Vereine und Verbände eigene digitale, aber auch analoge Formate zur digitalen Aufklärung entwickeln und bereitstellen. Schafft das Engagement es aus eigener Kraft, den Vereinen mit Nachholbedarf zu helfen oder benötigt es politische Unterstützung?
Ohne politische Unterstützung ist das nicht möglich. Wir brauchen die Infrastruktur, um die Hilfe zu organisieren, und Förderprogramme, damit die einen den anderen helfen können. Möglicherweise ist es aber auch eine Möglichkeit für das vielfältige und oft nicht wahrgenommene Unternehmensengagement, das es ja gibt.
Lern.Ort.Engagement. | 10. Berliner Engagementwoche | Auf ein Wort
zuletzt aktualisiert 11.09.2020