Pop und Politik zusammenbringen: Carolin Albrecht über Globales Engagement im Klimawandel und zu Coronazeiten
Notiert von jor ~ 20. September 2020 ~
Zehn Jahre Berliner Engagementwoche: Die Landesfreiwilligenagentur Berlin hat Antreiber:innen und Beobachter:innen der Berliner Zivilgesellschaft auf ein Wort gebeten – nachgefragt, in dieser Coronazeit. Heute Carolin Albrecht, Global Citizen, im Gespräch mit René Tauschke.
Die Landesfreiwilligenagentur Berlin und das Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin als Veranstalter der Berliner Engagementwoche haben sich das Jahresmotto „Lern.Ort.Engagement.“ gesetzt. Was bedeutet das Motto für dich? Was hast Du aus dem Engagement gelernt oder mitgenommen?
Engagement bedeutet für mich Vertrauen und Gemeinschaft. Ich konnte bisher in meiner ehrenamtlichen Arbeit am meisten lernen, wenn ich auf Menschen getroffen bin, denen ich sonst vielleicht nicht begegnen würde. 2012 war ich zum Beispiel als Mentorin für Schüler:innen aus England für den Wahlkampf in den USA unterwegs.
Das war bereichernd und spannend. Ich konnte von den Ideen und Gedanken der Schüler:innen lernen, aber auch mit Wähler:innen aus völlig unterschiedlichen Gegenden in den USA sprechen. Mir ist wichtig, dass man mit dem Engagement etwas bewirken kann. Deswegen habe ich mein Engagement auch zum Beruf gemacht und setze mich gemeinsam mit Global Citizen für eine Welt ohne extreme Armut bis 2030 ein.
Du warst unter anderem bei Save the Children International tätig. Wie bist Du persönlich zum Engagement gekommen? Was treibt Dich in Deiner Arbeit an?
Für mich stand nach dem Abitur fest, dass ich in meinem späteren Beruf, aktiv zu Lösungen zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen beitragen möchte. Wie genau das aussehen konnte, wusste ich noch nicht, aber ich habe die Zeit während meines Studiums in Internationaler Politik und Völkerrecht in England genutzt, um mit ehrenamtlichen Engagement verschiedene Dinge auszuprobieren.
Ich habe mich an der Uni engagiert, Charity Sales organisiert oder auch die paralympischen Spielen in London als Freiwillige unterstützt. Das war ein tolles Erlebnis. Sobald man einmal anfängt, sich zu engagieren, kann man garnicht mehr aufhören *lacht*. Man lernt immer wieder neue Leute kennen und selbst immer mehr dazu. Was mich immer angetrieben hat und bis heute meine Arbeit definiert ist, dass ich Ungerechtigkeiten bekämpfen möchte. Menschenrechte und ein selbstbestimmtes Leben sollte kein Luxus sein, der nur einigen von uns zur Verfügung steht. Dafür lohnt es sich jeden Tag zu kämpfen.
In welchen Bereichen hat sich in den letzten Jahren durch das Engagement etwas bewegt und die Situation verbessert?
In der internationalen Armutsbekämpfung hat sich in den letzten Jahrzehnten viel mehr getan, als die Menschen vielleicht annehmen. Sowohl durch das Engagement einzelner Personen als auch durch den politischen Willen von Staaten. Die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, hat sich beispielsweise seit 1990 halbiert, genauso wie die Kindersterblichkeit.
Die größte Herausforderung aktuell: eine gemeinsame Verhandlungsbasis finden
Durch Covid-19 und die Klimakrise droht dieser Erfolg zunichte gemacht zu werden. Deswegen ist es auch bei uns ein großes Thema. Wir möchten Menschen dafür mobilisieren, damit sie ihre Regierungen auffordern, die Auswirkungen der Pandemie auf die Ärmsten der Welt anzuerkennen und ihren Einsatz zur Unterstützung deutlich erhöhen.
Was sind, Deiner Meinung nach, die größten Herausforderungen unserer Zeit?
Ich empfinde es zunehmend als größte Herausforderung, eine gemeinsame Verhandlungsbasis zu finden. Sowohl in Deutschland als auch international gibt es eine starke Polarisierung. Da herrscht dieses „Wir gegen die“. Das bereitet mir große Sorge. Denn das bedeutet, dass die wirklich großen Probleme, die wir haben, etwa der Klimawandel oder die wachsende Ungleichverteilung, nur schwierig gemeinsam gelöst werden können.
Weltweit gibt es viele Herausforderungen – in den meisten Fällen geht es immer noch um Armut, Hunger, Bildung, Gesundheit, Frauenrechte oder den Zugang zu Wasser. Corona hat noch einmal alles verändert und trifft besonders die Ärmsten am schlimmsten. Wie ist Deine Wahrnehmung: Führt Corona zu mehr Zusammenhalt oder doch eher zur Spaltung der Gesellschaft?
Wir haben in den letzten Monate alle festgestellt, wie schnell ein lokales Problem zu einem globalen werden kann. Ob es zur Spaltung oder eher zum Zusammenhalt führt, dafür ist es noch zu früh, das zu sagen. Ich hoffe aber, dass es für Leute weniger ein Anlass ist, sich zurückzuziehen, sondern es viel mehr um unser aller Verbundenheit geht. Für uns bei Global Citizen ist es wichtig, dass die Zeit nicht für weitere Polarisierung genutzt wird, sondern um eine Vision einer gerechteren, nachhaltigeren Welt zu schaffen.
Pop und Politik zusammenzubringen: geballte Aufmerksamkeit für große Herausforderungen schaffen
Die Aktion „Global Goal: Unite For Our Future“ hat ein großes Medienecho verursacht. Zusammen mit der Europäischen Union hat „Global Citizen“ am 27. Juni 2020 ein Konzert veranstaltet. Mit Statements und Beiträgen von Diane Kruger, Naomi Campbell, Hugh Jackman, Justin Bieber, Coldplay, Shakira und Miley Cyrus. Bei der virtuellen Geberkonferenz in diesem Rahmen kamen über sechs Milliarden Euro für die Finanzierung eines Impfstoffs gegen Covid-19 zusammen. Wie wichtig sind solche Kampagnen für die Aufmerksamkeit auf die weltweiten Unterschiede – nicht nur in der medizinischen Versorgung?
Unser Konzept bei Global Citizen zielt genau darauf ab, Pop und Politik zusammenzubringen, um dadurch eine geballte Aufmerksamkeit zu schaffen. Dabei ist es wichtig, konkrete Veränderungen zu bewirken. Sowohl „Global Goal: Unite For Our Future“ im Juni als auch “One World Together At Home“ im April haben gezeigt, wie wichtig das ist, wie gut es funktioniert und welche Wirkung es haben kann. Dadurch konnten wir nicht nur viele neue Global Citizens für unsere Anliegen gewinnen, sondern auch konkrete Zusagen von Staats- und Regierungschef sowie von Unternehmen.
Insgesamt sind über 6,9 Mrd. US-Dollar zusammengekommen, die einerseits für die Entwicklung und Produktion sowie Verteilung von Covid-19-Impfstoffen eingesetzt werden, andererseits wird es auch für die Abmilderung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie für die Ärmsten der Welt genutzt.
Diese Kampagnen haben auch gezeigt, was möglich ist, wenn man sich so einer großen Herausforderung stellt. Normalerweise nutzen wir Live-Events, um Pop und Politik zusammenzubringen. Wir haben das dann kurzfristig und aus dem HomeOffice in ein TV-Event umgeplant. „One World Together At Home“ im April, zu Beginn der Krise, haben wir beispielsweise in sechs Wochen auf die Beine gestellt.
Das Ziel von Global Citizen ist es, extreme Armut bis 2030 zu beenden. Wie ist der Plan für die nächsten Monate und Jahre?
Durch Covid-19 und die Klimakrise sind viele der Erfolge in der Armutsbekämpfung bedroht. Unser Plan und Ziel für die kommenden Monate und Jahre ist es daher, die Auswirkungen der Pandemie für die Ärmsten der Welt abzuschwächen, eine gerechte weltweite Verteilung eines Covid-19-Impfstoffs und ‑Medikaments sicherzustellen und alle Länder auf Kurs zu bringen, die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen und damit auch ein Ende der extremen Armut bis 2030.
Aktuell haben wir alle die Bilder aus Moria im Kopf. Was sollte die Politik tun, um den Menschen zu helfen?
Kurzfristig muss natürlich den Menschen in Moria sofort geholfen werden und es braucht endlich eine europäische Lösung in der Asylpolitik. Das kann nicht länger vertagt werden. Deutschland sollte sich aber auch an ein Versprechen halten, das vor über 50 Jahren in der UN gemacht wurde: 0,7 % Bruttonationaleinkommens sollten für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ausgegeben werden. Das hat Deutschland bisher erst einmal während der Flüchtlingskrise 2015 geschafft und auch nur weil Inlandskosten für Geflüchtete auf diese Quote angerechnet werden können. Wir sind davon überzeugt, dass es gerade jetzt extrem wichtig ist, dass Deutschland dieses Ziel erreicht und langfristig hält. Das ist auch das Ziel der Kampagne #ZukunftSchaffen.
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zuletzt aktualisiert 21.09.2020